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Am Ende ist Eliza
Hall. "My Fair Lady" auf derTreppe vor St.Michael bei den Freilichtspielen Schwäbisch Hall? Vor wenigen Jahren noch hätte das pietistische Haller Bildungsbürgertum aufgeschrien: Sowas vor einer Kirche?! Die 60er- und 70erJahre-Intendanten Speidel und Plato mussten noch darum kämpfen, etwas anderes als den Jedermann auf derTreppe aufführen zu dürfen. Doch nicht nur die heutige Akzeptanz, auch der Inhalt des Stückes selbst machen deutlich: die Ansichten im 21.Jahrhundert sind andere, auch wenn unterschwellig in des einen oder anderen Zuschauers Brust der alte Zeitgeist rumort. Ernst-Walter Hug Wer nicht gerade die 50er und 60er des vergangenen Jahrhunderts noch
bewusst miterlebt hat, dürfte etwas Schwierigkeiten haben, das
Frauenbild zu verstehen, das der Geschichte der Eliza Doolittle zugrunde
liegt. Transportiert wird das weibliche Rollenverständnis und
Frauenideal des pietistisch christlichen 19. Jahrhunderts, wie man
es heute allenfalls noch der britischen und vielleicht auch der amerikanischen
Ostküsten oder Südstaaten-Oberschicht andichtet. Da ist
es ja fast schon revolutionär, wenn aus dem Londoner Unterschicht
Blumenmädchen, Tochter eines Müllkutschers mit Wallisischen
Vorfahren, am Ende eine selbstbewusste Lady wird, die sich zwar in
ihren "Herrn" und Lehrer verliebt, sich von ihm aber in
sein Rollenverständnis von Frau nicht hineindrängen lässt.
Sie geht da doch lieber mit dem verliebten "Trottel", der
ihr unscheinbar überallhin folgt - auch am Ende, sich händereibend
freuend - und nicht realisiert, dass sie ihn als Mittel zum Zweck
benutzt. Denn Eliza Doolittle, die Lady, lässt sich nicht mehr
aussuchen! Sie sucht selbst aus - allfällig auch im Schlussbild
des Musicals aller Musicals "My Fair Lady" auf der Freitreppe
zu Hall sichtbar: Wer liegt "beim Küssen" oben?!
So gesehen hat der Intendant der Haller Freilichtspiele Christoph
Biermeier, der My Fair Lady auf der Haller Freilichtspieltreppe inszeniert
hat, doch noch etwas von der kritischen Wirkung ins Jetzt und Heute
gerettet, die das Stück 1956 gehabt haben muss, als es
entwickelt aus dem Bernard-Shaw-Stück "Pygmalion"
erstmals auf die Bühne kam. Wichtiger als die neue Frauenrolle
war damals aber wohl die Kritik an der Tatsache, dass man mit Geld
alles Kaufen kann, Blumenmädchen, Bildung, gesellschaftlichen
Status, ja selbst die ethische Moral in Gestalt des Doolitle-Vaters.
Letzteres kommt in Biermeiers Treppeninszenierung zwar nicht zu kurz,
doch ist die Wirkung heute eine andere. Niemand regt sich mehr über
die Wirkung von Geld auf, das wird als gegebene Tatsache hingenommen.
Allenfalls geht einem noch durch den Kopf, dass es doch typisch ist:
wenn Unterschicht zu Geld kommt, wird's proletenhaft protzig und stilistisch
daneben. Aber das weiß man ja: Geld und plötzlicher Reichtum
sind halt etwas anderes als Geld und Wohlhabenheit. Pöbel bleibt
Pöbel, auch wenn das heute so niemand mehr öffentlich sagen
würde.
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